Zu dieser Zeit sitzt Philippe der Schöne aus dem Haus Capet auf dem Lilienthron. Er ist entschlossen, Frankreich zu modernisieren und zu einer europäischen Großmacht auszubauen. Hierzu bedient er sich mitunter drastischer Mittel. Zur Finanzierung diverser Feldzüge, etwa gegen das englisch besetzte Aquitanien und das rebellische Flandern, erhöht er massiv die Steuern und entwertet das Geld. Volksaufstände gegen seine Finanzpolitik, wie sie beispielsweise in der normannischen Stadt Rouen geschehen, schlägt er mit harter Hand nieder. Er nimmt viele neue Beamte in den königlichen Dienst, was ebenfalls die Staatsausgaben in die Höhe treibt. Dafür kann sich Philippe der Schöne bei seinen Entscheidungen auf einen breiten Beamtenapparat stützen. Er ist ein starker König, aber kein allzu beliebter. Viele seiner Untertanen, auch Adlige und Kirchenfürsten, lehnen seine Politik ab.
Unterstützung erhält er hingegen von den Templern. Als im Jahr 1291 die Kreuzfahrerstaaten mit dem Fall Akkons untergingen, war der geistliche Ritterorden gezwungen, das Heilige Land zu verlassen. Er zog sich nach Zypern zurück – sowie nach Frankreich, wo er seit jeher stark vertreten war. Insbesondere in der Grafschaft Champagne haben die Templer viel Land, viele Burgen, viele einträgliche Besitzungen. Der Orden ist ungeheuer reich. In seinem Hauptquartier in Paris, im Tempel, betreibt er eine Bank, die große Summen verleiht: an Patrizier, an Fürsten, an Handelsgilden – und an den französischen König, der den Kronschatz von den Bankiers des Tempels verwalten lässt.
Doch obwohl die Templer die Freundschaft des Königs genießen, stehen sie unter Druck. Mit dem Verlust des Heiligen Landes büßten sie ihre Existenzberechtigung ein; viele verlorene Schlachten gegen die Mamluken, insbesondere die Vernichtung Akkons, verlangten ihnen einen hohen Blutzoll ab. Ende des 13. Jahrhunderts sind sie militärisch und ideologisch geschwächt. Es regen sich Stimmen, die fordern, Templer und Johanniter zu einem einzigen Orden zu verschmelzen. Zumal ihre Geldgeschäfte längst nicht allen gefallen: Manch einer nennt sie Wucherer, die sich von ihrer heiligen Mission entfernt hätten.
Denn das spätmittelalterliche Frankreich ist ein streng christliches Land. Kaum jemand stellt die Lehren der Kirche infrage. Gewaltige Kathedralen wie Notre-Dame de Reims beherrschen die Städte. Die Religion prägt den Alltag der Menschen. Nicht nur in den Klöstern spricht man die Stundengebete – auch in Burgen, Palästen, Bürgerhäusern erklingen siebenmal am Tag die frommen Sentenzen zum Lob des Herrn.
Neben der offiziellen Lehre gedeiht der Aberglaube. Fürsten beschäftigen Alchemisten und Sterndeuter. Wer eine Krankheit kurieren will, greift zu Wundermitteln. Das Böse wehrt man mit Zaubersprüchen ab. Die Menschen, seien sie reich oder arm, gebildet oder nicht, glauben an Dämonen, Feen, Riesen, Kobolde, Engel, Reliquien, den Bösen Blick – und an Drachen …